Oder: Wie ADHS, Sucht und eine defekte Klingel meine Beziehung geprägt haben. Eine offene Selbstreflexion.

Ich sage im Scherz oft: Ich werde mal ’ne alte Katzenlady – blöd nur, dass ich gegen Katzen allergisch bin. Humor ist mein Schutzmechanismus, denn eigentlich geht es um etwas Tieferes: Warum bin ich seit sieben Jahren Single – und warum ist das erstaunlich okay? In diesem Artikel teile ich, wie meine ADHS-Diagnose, meine Abstinenz und ein bisschen Lebensmüdigkeit an der Romantik meine Vorstellung von Beziehungen auf links gedreht haben. Und warum eine funktionierende Klingel vielleicht nicht reicht, um mich für die Liebe zu öffnen.

In diesem Artikel erfährst du:

  • Warum meine gescheiterte Ehe und Trockenheit meine Beziehungsfähigkeit neu definiert haben
  • Wie ADHS/AuDHS mein Bedürfnis nach Nähe und Distanz zur Extremsportart macht
  • Warum „richtig guter Sex“ vielleicht auf meiner Bucket List bleiben wird
  • Und ob es überhaupt einen Traummann mit funktionierender Klingel braucht

Beziehungen, ADHS & Sucht


ADHS macht Beziehungen oft zur Hochseilnummer: Nähe ist mal wohltuend, mal überwältigend. Impulsivität, Rückzugsbedürfnis und emotionale Reizbarkeit prägen den Beziehungsalltag – oft, ohne dass man selbst versteht, warum.

Kommt eine Suchtvergangenheit dazu, wird’s noch komplexer: Nüchternheit bringt Klarheit – und Nähe ohne Betäubung kann sich wie ein ungeschützter Fall anfühlen.

Das heißt nicht, dass Nähe unmöglich ist. Aber sie braucht andere Regeln, andere Rhythmen – und Partner, die wissen, was sie da berühren.


Die Randfakten (für den Kontext)

Ich bin seit 7 Jahren Single. Seit 4 Jahren geschieden. Hab ich viel zu lange schleifen lassen, Rest in Peace, Rentenpunkte im Wert von 6.000 €. Aber hey, der Anwalt hat die Kohle verdient (den will ich nicht als Gegner haben, auch wenn die Scheidung friedlich lief)

Die Geschichte meiner Ehe war ein Trauerspiel mit Kabarett-Potential: Ich wurde von ihm gefragt, ob ich ihn heiraten will, als ich im 5. Monat schwanger war. Er meinte, auf die Knie gehe er aber nicht, das sähe komisch aus…

Schon damals hatte ich den Gedanken unterdrückt, Nein zu sagen. Meine innere Stimme flüsterte: „Kannst dich ja wieder scheiden lassen.“ Jup, ich bin mit einem Exit-Plan zum Standesbeamten gegangen. 

Dass ich zu meiner eigenen Trauung zu spät kam (15. August… 08/15…, in Witzenhausen, für die Akten), macht das Ganze kabarettreif. Als er sein Gelübde sprach und darin meinte “Ich würde alles für euch tun”, sehe ich mich noch da stehen und mit den Augen rollen, den Gedanken im Kopf “Na das glaubste ja wohl selbst nicht.” Es blieb auch beim Konjunktiv.

blonde Frau in Hochzeitskleid, Symbolbild für Beziehung und ADHS - sie schaut verwirrt
So sah mein Gesicht aus (innerlich :D)

Meine Ehe war eine teure Lektion zum Thema Integrität (hier habe ich darüber schon geschrieben), natürlich wurde mir das erst in der Rückschau bewusst, wäre ja sonst mutig gewesen. Im Nachhinein, nach der Trennung 2,5 Jahre später, sagten manche zu mir: „Wir wussten doch, er ist ein Blender.“ (Ich lasse mal unter den Tisch fallen, dass mir auch vorher klar gesagt wurde, wie andere ihn und die Beziehung wahrnehmen. Komisch, hab ich ganz verdrängt…)

Aber so ist das wohl: Manche Red Flags erkennt man erst im Rückspiegel wirklich.

Außerdem bin ich seit 5,5 Jahren trocken. Und das hat so vieles auf links gedreht. 

Nach Trennung und Trockenlegung war mir nach allem, aber nicht nach einem Mann. Denn Nüchternheit bringt Klarheit, manchmal auch zu viel davon.


Was „Mann an meiner Seite“ für mich bedeutete: Eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten

In meinem Kopf war das Bild „Mann an meiner Seite“ verknüpft mit einer ziemlich toxischen Liste:

  • Zusätzlicher Aufwand (zweites Kind, anyone?)
  • Anpassung an seine Bedürfnisse (während meine hinten runterfielen)
  • Zurückweisung, wenn ich „zu viel“ war
  • Grenzüberschreitung, die ich für normal hielt
  • der versperrte Weg zur Kaffeemaschine aka zu wenig Raum für mich

Das Muster kannte ich aus meiner Kindheit, aus meiner Ehe, anderen Partnerbeziehungen, aus zu vielen Begegnungen. Und ich hatte die Schnauze voll davon. Ich wollte erstmal wissen, wie es ist, bedingungslose Liebe in nicht-körperlichen Beziehungen zu erfahren. Liebe ohne „Gegenleistung“. Ohne dass ich mich kleiner machen muss.

Das habe ich mittlerweile gefunden: Menschen, Freunde, Frauen und Männer, die mich nehmen und die ich nehme, wie wir sind. Wo Konflikte auf Augenhöhe gelöst werden, mit Ernsthaftigkeit, aber auch mit einem derbe tiefen Vertrauen (bin da tagtäglich so krass dankbar und gerührt davon). Zu erfahren: selbst der heftigste Streit wird es nicht schaffen, uns zu zertrennen (da wir auch einfach nicht heftig streiten. Nur milde). Diese Art von Beziehung (platonisch, aber unerschütterlich) hat mir gezeigt, was Liebe eigentlich bedeuten kann, wie sie sich anfühlt. Und vielleicht musste ich das erst lernen, bevor ich wieder Platz für romantische Liebe schaffe.


Das Lebensthema: Nähe und Distanz (auf Zahnseide balancierend)

Brené Brown sagt:

„Verletzlichkeit ist nicht Schwäche, sondern unser genauestes Maß für Mut.“

Klingt schön. Aber was, wenn dein Nervensystem bei Nähe auf Alarmstufe Rot schaltet?

Ich habe früh verstanden: Die Balance zwischen Nähe und Distanz ist mein Lebensthema. Das ist sie für fast jeden, no shit Sherlock. Nur ist bei mir kein dickes Stahlseil zum Balancieren da, sondern eine Mischung aus Zahnseide und Holzplanke. Ich weiß nur nie, wann meine Füße was betreten. Mal fühlt sich Nähe an wie eine warme Umarmung, mal wie eine Zwangsjacke. Und diese Unberechenbarkeit macht Beziehungen zu einem verdammt anstrengenden Unterfangen.

Meme mit Shrek, der "Gute Frage" Antwortet auf die Frage: Was brauche ich gerade? Nähe? Distanz?

Und dann ist da noch diese Sache: Ich habe große Angst vor einer weiteren Schwangerschaft. Angst vor den Konsequenzen, die ich für mich ziehen würde, und die habe ich sehr klar für mich. Abtreibung ist in Deutschland zwar straffrei unter Bedingungen, aber gesellschaftlich ein Tabuthema und emotional in meiner Vorstellung eine der krassesten Herausforderungen, die es zu bewältigen gibt. Diese Angst sitzt tief und hat ihre Gründe (auf die ich hier nicht eingehe). Und sie ist real genug, um mich davon abzuhalten, überhaupt das Risiko einzugehen.

Die Rechnung ist einfach: Der beste Weg, eine Schwangerschaft zu umgehen? Kein Sex. Wozu dann also um einen Partner „bemühen“?

Für mich steht fest: Hormonelle Verhütung kommt mir nicht in den Körper. Barrieremethoden sind teils zu unsicher (siehe mein geliebtes, wundervolles Kind, das trotz Kondom entstanden ist). Und eine Sterilisation? Ändert auch nichts an der psychischen Blockade. Das habe ich schon ausführlich mit einer sterilisierten Freundin besprochen.

Vielleicht nehme ich mir mit der “Askese”/ “Abstinenz” tolle Erfahrungen. Vielleicht ist das auch Selbstschutz. Wer weiß. Ich hab ja noch ein halbes Leben vor mir, da wird schon noch was gehen. Angeblich geht’s in Altenheimen ganz schön rund – Zeit genug ist also noch :D.


ADHS und Muster in Beziehungen: Warum Intimität anstrengend sein kann

Stell dir vor, du kommst nach einem langen Arbeitstag nach Hause. Dein Kopf ist voll, dein Nervensystem überstimuliert, deine soziale Batterie auf 12 %. Die Reize des Tages hämmern noch nach: Gespräche, Entscheidungen, visuelle Eindrücke, Geräusche. Alles will sortiert, verarbeitet, abgelegt werden.

Und dann steht da jemand. Mit neuen Aufgaben. Mit Fragen. Mit Bedürfnissen.

„Wie war dein Tag?“ „Warum ist die Milch alle?“ „Kannst du mal schnell…?“ Oder, noch schlimmer: Er lädt direkt seinen Ballast bei dir ab.

Für neurotypische Menschen ist das vielleicht normale Kommunikation. Für mich? Absoluter Overload.

Nach Arbeit und Co. habe ich erstmal keine Kapazitäten mehr für zusätzliche Anforderungen. Ich brauche Ruhe. Zeit zum Auftanken. Richtig Zeit, nicht nur fünf Minuten. Ich muss die Reize des Tages verarbeiten, mein Nervensystem herunterfahren, meine Gedanken sortieren. Das ist kein Luxus. Das ist eine Notwendigkeit.

Mein Sohn ist genauso. Deshalb haben wir eine unausgesprochene, aber eiserne Regel: Eine Stunde, nachdem jeder heimkommt, gibt es Ruhe. Wir sind rücksichtsvoll, geben uns Raum, fragen nicht sofort nach Befindlichkeiten oder Milchständen. Wir sind neben- und einander, ohne Anforderungen aneinander zu haben. Kein Ausquetschen über „Wie war dein Tag?“, abchecken von Hausaufgaben oder Spülmaschine ausräumen. Sondern schauen, wie der anderen da ist und jeder für sich, gemeinsam, auftanken. Und es klappt für uns wunderbar, weil wir beide das Gleiche brauchen. (Wir führen eh ein sehr entspanntes, entschleunigtes Leben zu Hause – ein Privileg, das ich mir bewusst erarbeitet habe.)

Mental Load in partnerschaftlichen Beziehungen

In einer Partnerschaft wird das kompliziert. Besonders, wenn der Partner das Prinzip von Mental Load nicht versteht. Wenn er erwartet, dass ich nach acht Stunden Arbeit noch emotional verfügbar bin für seine Bedürfnisse, während meine eigenen hinten runterfallen. Wenn „zu Hause sein“ nicht bedeutet „auftanken“, sondern „weiter funktionieren“.

Das habe ich in meiner Ehe erlebt. Dieser konstante Druck, verfügbar zu sein. Die unausgesprochene Erwartung, dass ich voll verfügbar bin und mich kümmere, um ihn, um den Haushalt, um alles. Keine Pufferzone. Kein Raum zum Atmen. Und wenn ich den einforderte? War ich die Schwierige. Die Distanzierte. Die, die sich nicht genug Mühe gibt, rumzickt, sich anstellt. (jahaaaaa, ich sehe die Red Flags, auf beiden Seiten!)

Kann ich vielleicht auch zu gut alleine sein? Diese Frage stelle ich mir manchmal. Und ehrlich? Ja, wahrscheinlich schon. Ich bin sehr gerne und sehr gut alleine. Ich genieße die Stille. Die Freiheit, mein Tempo selbst zu bestimmen. Niemanden fragen zu müssen, ob es okay ist, jetzt Ruhe zu brauchen.

Ist das eine Vermeidungshaltung? Möglich. Wahrscheinlich sogar. Aber es funktioniert für mich. So, wie es mit meinem Kind läuft, funktioniert es. Wir verstehen uns ohne viele Worte. Wir respektieren gegenseitig unsere Grenzen. Und vielleicht (sehr wahrscheinlich) habe ich auch einfach Angst, dass eine Partnerschaft dieses fragile Gleichgewicht zerstören würde.

Bei der Wahl zwischen Gruppenveranstaltung und alleine chillen gewinnt zu 99 % Letzteres (je nachdem, was die Gruppe ist). Ich brauche nicht so viele soziale Interaktionen wie andere, sehne mich aber dennoch nach ihnen. Ich bin gerne präsent für Menschen, die ich liebe, aber nur, wenn mein Akku es zulässt. Und der ist schneller leer, als andere es nachvollziehen können.

Ich bin ein wandelnder Widerspruch in so vielen Dingen: Sehnsucht nach Nähe, Bedürfnis nach Distanz. Angst vor Einsamkeit, Liebe zum Alleinsein. Willkommen in meinem AuDHS-Hirn, wo nichts jemals Sinn ergibt, nicht mal für mich selbst.

„Zu viel“ war schon immer mein zweiter Vorname

Ich war schon oft in meinem Leben „zu viel“ für andere. Zu laut. Zu direkt. Zu intensiv. Zu emotional. Zu kompliziert. Die Liste ist lang, und ich könnte sie im Schlaf aufsagen, so oft wurde sie mir gespiegelt.

Heute sage ich (frei nach der wunderbaren Elyse Myers, die genau diesen Struggle kennt): „Go, find less.“

Wenn ich dir zu viel bin, ist das okay. Dann geh und finde jemanden, der weniger ist. Weniger ehrlich. Weniger tief. Weniger echt. Viel Erfolg damit.

Ich war mich mein Leben lang maskiert, habe mich kleiner gemacht, leiser, angepasster. Und ich trage noch heute Schuld und Scham in mir. Die wurde mir aufgeladen, teilweise unbewusst und unwissend von Menschen, die selbst nicht wussten, was ADHS bedeutet. Ich laufe/lief jedenfalls damit herum wie mit einem unsichtbaren Rucksack voller Steine.

Ich habe immer noch Angst, zu viel zu sein. Dass ein Mann vor mir flüchtet, weil ich zu offen, zu kompliziert und zu direkt bin. Und in manch delikaten Situationen auch echt unbeholfen. (help!) Aber ich arbeite daran, diese Angst nicht mehr meine Entscheidungen dominieren zu lassen.


Das ADHS-Überreagieren (oder: Von null auf Hochzeit in 3,2,1…)

Menschen mit ADHS neigen manchmal zu emotionaler Dysregulation, ein schicker Begriff für „Überreagieren“. Emotional? Ja. Impulsiv? Auch ja. Romantisch völlig lost? Absolut.

Ich kann mir noch so sehr sagen: „Ich nehme keinen Mann mehr stationär auf, nur ambulant.“ Ich teile völlig Jürgen von der Lippes Meinung: Seine Ehe lief erst richtig gut, als er und seine Partnerin in getrennten Städten wohnten. Klingt nach meinem Traummodell.

Aber: Wenn ein Crush kommt? Male ich mir im Kopf schnell das Aufgebot für die Hochzeit aus. Diesmal mit Kutsche und gemeinsamem Konto. Diesmal wird alles anders! (Nahahahaa. Wird es nicht.) Mein ADHS-Hirn kennt keinen Mittelweg zwischen „Dieser Mensch existiert für mich nicht“ und „Wir werden alt zusammen, ich sehe schon die Enkel vor mir, vielleicht heirate ich doch nochmal.“

;e,e, wie zwei rote knöpfe mit kleinem finger und daumen einer Hand gedrückt werden, auf einem steht "Den muss ich heiraten", auf dem amnderen "Ich heirate nie wieder", darunter ein verwirrt schauender Typ mit Daumen hoch, mit Text "Und auch sonst weiß ich, was ich will." als Symbolbild für Widerstreitende Gefühle bei menschen mit SDHS in Beziehungen

Und dann ist da noch das Vermissen. Oder vielmehr: das Nicht-Vermissen. ADHS-Klassiker: „Aus den Augen, aus dem Sinn“ – wortwörtlich. Wenn Menschen nicht physisch da sind, packt mein Gehirn sie in eine Schublade und macht die Tür zu. Die sind mir nicht egal! Aber ich bin dann einfach… im Hier und Jetzt. Ich chille mit mir, lese, denke nach, mach worauf ich Bock habe, genieße die Ruhe. Für mich fühlt sich das völlig normal an. Aber für andere wirkt das schnell wie Desinteresse oder emotionale Kälte. (Seriously, ein Vorteil am Alleinerziehend sein: Das Kind ist ab und an mal ein Wochenende nicht da. Geilo!) Ich bin einfach nur gut darin, auch ohne jemanden klarzukommen. Das macht mich zu einer beschissenen Partnerin für Menschen, die ständige Bestätigung brauchen – aber zu einer verdammt guten für mich selbst.

Was ich gut finde: Mein AuDHS, seit ich es besser verstehe, hat mir in vielerlei Hinsicht geholfen. Je mehr ich meine Bedürfnisse verstehe, erkenne und (ganz wichtig) kommuniziere, umso besser laufen alle meine Beziehungen. Wirklich alle. Und das musste ich für mich alleine lernen, ohne Partner, ohne Ablenkung. Vielleicht war das Single-Sein die beste Therapie, die ich mir selbst verordnen konnte.

Werte-Check (oder: Ich schlafe nicht mit Nazis)

Einige Werte müssen für mich einfach passen, sie sind nicht verhandelbar. Politische Einstellungen zum Beispiel: Ich schlafe nicht mit Faschisten. Keine Diskussion, egal wie heiß der ist. Auch nicht mit „die sind doch nicht so schlimm“-Menschen oder „man muss auch andere Meinungen respektieren“-Typen. Nein, muss man nicht. Nicht bei Menschenrechten.

Aber es geht um mehr als Politik: Haltung gegenüber anderen Menschen, Integrität (ganz oben auf meiner Liste!), vielleicht auch eine gewisse Sicht auf das große Ganze. Spiritualität im Sinne von Reflexion, nicht im Sinne von Kristallen und Mondwasser.

Wie mein Freund Kai zu sagen pflegt: „Andere sind dein Spiegel.“ Finde ich nicht immer geil, ehrlich gesagt. Manchmal möchte ich nicht sehen, was da zurückschaut. Aber es ist was dran: Die Menschen, die ich anziehe, sagen viel über mich aus. Und die Menschen, die ich gut finde und die vergeben/unerreichbar/sonst was sind? Vielleicht sagen die noch mehr. Ich lege es mir gerne so zurecht: Das Universum wird schon wissen, was es tut. (Einer von uns muss doch!)


Sucht und Nüchternheit: Wie Alkohol meine Beziehungen prägte

Hier wird’s besonders offen. Aber das soll es ja auch.

Gerade was die körperliche Ebene betrifft: Den Großteil meiner sexuellen Erfahrungen habe ich an- oder betrunken gemacht. Ich habe das Gefühl, keine Ahnung zu haben, wie man das nüchtern macht. Wie man sich nüchtern fallen lässt. Wie man nüchtern verletzlich ist. Wie man ohne Alkohol als Schutzschild Intimität zulässt.

Ich habe zu oft ertragen, was ich für normal hielt, bis in meine Dreißiger hinein. Und – ich wette, jede Frau sagt jetzt innerlich „Ja, das kenne ich“ – sexuelle Übergriffigkeiten müssen nicht sofort strafrechtrelevant sein, aber sie wirken nach. Lange. Sie machen unsicher. Sie machen misstrauisch. Sie machen es schwer, sich überhaupt noch auf Intimität einzulassen.

Alkohol war mein Betäubungsmittel. Nicht nur im Moment, sondern auch danach. Er hat mir geholfen, Dinge zu ertragen, zu vergessen, zu überspielen. Nüchtern? Da ist all das plötzlich präsent. Und das ist verdammt anstrengend. Hach, und dann jemanden finden, der damit sensibel umgeht? Klingt mir dann wieder zu anstrengend für das, um was es geht 😀 (halloooo, wandelnder Widerspruch :D)

Die alkoholfreie Zone: Mein Safespace bleibt sauber

Ich will niemanden küssen, der nach Alkohol riecht. Damit bin ich nicht alleine, viele trockene Alkoholiker*innen (aber auch nicht süchtige Menschen) kennen das. Es triggert. Es ekelt. Es erinnert an Zeiten, die ich hinter mir gelassen habe.

Mein Haushalt ist alkoholfrei, und das wird er auch bleiben. Meine Wohnung ist einer meiner zwei Safespaces (der andere ist mein Auto). Das wird gewiss spannend, wenn mein Kind in das Alter kommt, wo er probieren will. Aber schon jetzt weiß er: Kein Alk in dieser Bude. Keine Diskussion. Wenn er trinken will, macht er das woanders, aber nicht hier.

Die Angst, die ich nicht laut sage: Wenn ich jemanden zu nah an mich ranlasse und es dann auseinandergeht – könnte ich das halten? Würde ich rückfällig werden? Kognitiv weiß ich, das ist Quatsch. Ich habe andere Trennungen, andere Krisen, andere Verluste durchgestanden, nüchtern. Ganz deep geguckt ist diese Angst eine feine Ausrede, um niemanden ranzulassen. Denn es liegt in meiner alleinigen Verantwortung, wie ich mit dem Leben und all seinen Seiten umgehe. Trotzdem ist dieser Gedanke manchmal da, flüstert leise im Hintergrund: „Was, wenn?“

Die Low-Bullshit-Toleranz-Fraktion: Wir sind Legion

Ich erlebe mittlerweile einige trockene Alkoholiker*innen, die ebenso bewusst Single bleiben. Weil es ihnen guttut. Weil sie, wie ich, eine extrem niedrige Bullshit-Toleranz entwickelt haben. Wenn du jahrelang deinen eigenen Bullshit aufarbeiten musstest, hast du wenig Geduld für den der anderen.

Meme von ben Affleck, der gestersst Zigarette raucht, mit dem Text "Wenn die Bullshit-Toleranz zu niedrig ist"

Und sich strapazieren für das einzige, was eine partnerschaftliche Beziehung zusätzlich zu platonischen Beziehungen gibt – Sex? (Ohhhh, hot take, ich weiß.) Aber ich behaupte allen Ernstes: Wie wir hier leben, in Westeuropa, mit unserer romantischen Zweierbeziehung als Non-Plus-Ultra-Modell: so hat sich die Evolution das womöglich nicht gedacht. Menschen sind soziale Wesen, die in Gruppen lebten. Die Idee, dass eine Person all deine Bedürfnisse erfüllen soll – emotional, sozial, sexuell, finanziell, praktisch – ist relativ neu und ziemlich absurd, wenn man tiefer drüber nachdenkt.

Ich habe großen Respekt vor Süchtigen, die es schaffen, ihre Beziehungen aufrechtzuerhalten. Ich kenne einige. Kommt mir manchmal vor wie ein Wunder, denen aber vielleicht auch.

Bottom Line: Solange ich mit mir selbst klarkomme und mir genüge, geht es auch mit anderen Menschen. Und umgekehrt funktioniert es eben nicht: Wenn ich mich auf jemanden stürze, um meine innere Leere zu füllen, ist das keine Beziehung. Das ist Abhängigkeit.


Was sonst noch? Die Männer-Frage (oder: Wo sind die Erwachsenen?)

Ich bin halt eher der High-Effort-Typ. Ich arbeite an mir, reflektiere, gehe in Therapie, lese Bücher, erweitere meinen Horizont. Ich erwarte das Gleiche von einem potentiellen Partner. Und genau da wird’s dünn.

Männer, die wirklich Eigenverantwortung kennen, sind rar gesät. Männer, die, wenn sie Väter sind, wissen, welche Schuhgröße der Nachwuchs hat, wie Klassenlehrerin und beste Freundinnen heißen, und schon mal Fingernägel geschnitten haben. Männer, die in sich ruhen, statt den Alpha-Kevin raushängen zu lassen. Männer, die Mental Load nicht nur als Begriff kennen, sondern verstehen, dass sie die Hälfte davon tragen sollten.

Ich sehe viel mehr Red Flags als Green Flags. Was klar an meinen „hohen“ Ansprüchen liegt. Aber ernsthaft: Diese Ansprüche sollte jede Frau haben. Männer, die Frauen Intelligenz, Umsicht und Können in diversen Bereichen absprechen, sind nicht weltmännisch, sondern engstirnig. Die haben mit mir keinen Spaß. Bin ich wohl zu feministisch. Geschenkt.;-)

Die klugen Männer sind alle vergeben (oder zu alt, oder unerreichbar, oder…)

Gleichzeitig kenne ich einige Männer, die nicht so sind. Die tief denken, Gefühle fühlen und ausdrücken können (ja, das ist ein wichtiger Unterschied!), einen gewissen spirituellen oder philosophischen Horizont haben und ihre Hormone im Griff. Die wissen, dass Emotionen keine Schwäche sind und dass Verletzlichkeit Stärke erfordert.

Nur: Die sind entweder nicht mein „Beuteschema“, zu alt, vergeben, unerreichbar, homosexuell, oder leben auf einem anderen Kontinent. Das Universum hat Humor, erinnert ihr euch?

Da ich außerdem recht intelligent bin (klingt arroganter, als ich es meine, aber es ist halt so), sehne ich mich nach einem Mann, der da halbwegs mithalten kann. Ich habe mal irgendwo gelesen (hier steht jedenfalls spannendes dazu), dass Männer sich statistisch gesehen oft „unterlegenere“ Frauen suchen: jünger, weniger gebildet, weniger verdienend. Und Frauen wie ich, die an der Spitze stehen, beruflich, intellektuell, emotional, gehen dann „leer“ aus.

Das ist natürlich nicht die ganze Wahrheit, aber ein bisschen was ist dran. Erfolgreiche, intelligente Frauen machen einigen Männern Angst. Nicht allen, aber vielen. Und die, denen ich keine Angst mache? Siehe oben: vergeben, unerreichbar, oder sonstwas. Auf jeden Fall nicht in meinem Dunstkreis. Noch nicht 😉

Zeit, Bindungstyp und das BRAUCHEN vs. WOLLEN

Irgendwie ist es auch ein Zeitthema. Ich verstehe gar nicht, wie andere alleinerziehende Frauen es schaffen, teilweise sehr schnell neue Partner zu finden. Wenn ich mir die Beziehungen dann anschaue, merke ich: Viele Frauen denken, sie brauchen etwas. Ich WILL was. Das ist ein verdammt großer Unterschied.

„Brauchen“ kommt aus einem Mangel. Aus Angst, allein zu sein. Aus dem Gefühl, nicht vollständig zu sein ohne Partner. Aus finanzieller Abhängigkeit, emotionaler Unsicherheit, gesellschaftlichem Druck, whatever.

„Wollen“ kommt aus einem Überfluss. Aus dem Wissen, dass ich auch alleine klarkomme, aber gerne jemanden an meiner Seite hätte. Nicht als Lückenfüller, sondern als Ergänzung.

Betrachtet man verschiedene Bindungstypen bin ich eher der Autonomie-Typ (oder „vermeidend-sicher“, je nachdem, welches Modell man zugrunde legt). Auch das macht es gefühlt schwieriger, ein Match zu finden, das sich ergänzt statt einengt. Denn ängstlich-gebundene Menschen suchen oft die Nähe, die ich manchmal nicht geben kann. Und vermeidend-gebundene Menschen halten die Distanz, die mir zu viel ist.

Das perfekte Match? Jemand, der sicher gebunden ist und meine Autonomie respektiert. Quasi ein Einhorn. Mit funktionierender Klingel.


Warum ich mir selbst genug bin – und trotzdem Sehnsucht spüre

Ich schließe nicht aus, jemals wieder einen Mann zu finden. Einen Partner. Denn so sehr mich meine Freunde (offline wie online) halten können, insbesondere emotional, so sehr sehne ich mich manchmal danach, mich in eine schützende Umarmung fallen zu lassen. Gehalten zu werden. Einfach nur sein zu dürfen, besonders in meiner Schwäche und Zerbrechlichkeit. Richtig geile Oxytocinproduktion. Die sieht man im Alltag selten, aber sie ist da. Und sie darf da sein.

Elizabeth Gilbert (Eat, Pray, Love) hat mal gesagt: „You need to learn how to select your thoughts just the same way you select your clothes every day.“ Und manchmal wähle ich bewusst den Gedanken: Vielleicht gibt es da draußen jemanden. Vielleicht nicht. Beides ist okay.

Und auch wenn ich gut auf Sex verzichten kann: Ich glaube, richtig guten habe ich noch nicht erlebt. Sex, bei dem ich mich nüchtern, sicher und gesehen fühle. Sex ohne Performance-Druck, ohne Übergriffigkeit, ohne das Gefühl, etwas ertragen zu müssen. Wäre halt schon auch mal schön. Aber wenn nicht – auch okay.

Online-Dating? Ne, danke. Hart nein.

Aber ich suche nicht aktiv. Online habe ich versucht, und naja, wen überrascht es: keinen Bock mehr. Das Einzige, was halbwegs taugt, ist Bumble, weil da wenigstens die Frauen den ersten Schritt machen. Aber selbst da: Ich kann kein oberflächliches Gelaber.

„Hey, wie geht’s?“ „Gut, und dir?“ „Auch gut. Was machst du so?“

Tötet. Mich. Innerlich.

Meme einer verwirrt schauenden Puppe, die sich fragt "Was habe ich da gerade erlebt" in Beziehung auf Onlinedating

Ich bin mies im Smalltalk (siehe ADHS, siehe oben, siehe mein ganzes Leben). Ich tauche tief. Ich will über Ängste reden, über Träume, über das, was dich nachts wach hält. Nicht über dein Lieblingsessen oder ob du lieber Berge oder Meer magst.

Aus Scherz erzähle ich öfter diese Geschichte: In meiner letzten Wohnung hatte ich ca. ein Jahr lang eine defekte Klingel. Hat mich nicht gestört, ehrlich gesagt. Weniger unerwarteter Besuch. Irgendwann habe ich sie reparieren lassen. Begründung: Wie sollte mein Traummann sonst klingeln können? Ich verpass den sonst noch!

Die Klingel funktioniert jetzt seit drei Jahren. Er hat noch nicht geklingelt. Vielleicht hat er die falsche Adresse. Vielleicht steht er vor der falschen Tür. Oder vielleicht (und das ist wahrscheinlicher) gibt es ihn gar nicht, und das ist auch völlig in Ordnung. Oooooder er arbeitet bei Amazon und ich hab es nicht gecheckt. 


Das Herz öffnen (Stück für Stück, in meinem Tempo)

Ich habe mein Herz lange sehr verschlossen. Dicke Mauern gebaut, Gräben ausgehoben, Stacheldraht gezogen. Das war okay. Das war Selbstschutz. Das war nötig.

Ich lerne, noch immer, jeden Tag, es Stück für Stück wieder zu öffnen. Verletzungen, Trennungen, sich verlaufende Wege: Sie sind alle Teile des Lebens. Sie gehören dazu. Und ich muss nicht so tun, als wären sie nie passiert, nur um „bereit“ für eine neue Beziehung zu sein.

Ich sehe den Impact, den es auf mein Umfeld hat, dass ich mich auch im Äußeren wieder „weicher“ mache. Dass ich Verletzlichkeit zulasse. Dass ich nicht mehr jeden Konflikt mit Rückzug beantworte. Dass ich lerne zu sagen: „Das hat mich verletzt“ statt „Ist mir doch egal“.

Das ist vielleicht das Wichtigste, was ich in den letzten Jahren gelernt habe: Dass ich nicht alleine sein muss, um ganz zu sein. Sondern dass ich ganz sein muss, um nicht mehr alleine zu sein.

Das klingt nach Kalenderspruch, ich weiß. Aber es ist wahr. Ich kann keine gesunde Beziehung führen aus einem Mangel heraus. Nur aus einem Überfluss.

Vielleicht klingelt er ja morgen. Oder übermorgen. Oder in fünf Jahren. Oder im Altenheim, falls es da Klingeln gibt.

Bis dahin: Ich bin gut. Mit mir. Mir mangelt es an nichts, und ich freue mich auf das, was das Leben noch für mich bereit hält.


Was ist mit dir? Bist du bewusst Single – oder suchst du? Und wenn ja: Was hält dich ab oder treibt dich an? Welche Ängste hindern dich, dich zu öffnen? Und welche Hoffnungen lässt du trotzdem zu?

Schreib’s in die Kommentare. Ich lese alles. Und ich tauche gerne tief.