Du kennst dieses Gefühl, oder? Du sitzt abends am Küchentisch, der Laptop vor dir aufgeklappt, und spürst diese seltsame Mischung aus Müdigkeit und schlechtem Gewissen. Der Hauptjob hat dich heute wieder komplett ausgelaugt, die Kids wollten Aufmerksamkeit, und jetzt – jetzt solltest du eigentlich an deinem Herzensprojekt arbeiten. An diesem Business, das du „nebenbei“ aufbauen willst.
Nebenbei – was für ein verharmlosender Begriff für etwas, das dir so wichtig ist. In Wahrheit bedeutet „nebenbei“: Du arbeitest, wenn andere entspannen. Du planst, während der Kaffee kalt wird. Du träumst von deiner Selbstständigkeit, während um dich herum das Leben in all seiner chaotischen Pracht tobt.
Ich stelle dir hier meinen Ansatz des „emotionalen Planens“ vor. Lass dich drauf ein, it’s magic 😉
Die Illusion der perfekten acht Stunden
Die meisten Business-Ratgeber scheinen zu glauben, du wärst ein Roboter mit einem ordentlich strukturierten Tagesablauf und acht freien Stunden pro Tag. Als würdest du morgens um 6 Uhr aufstehen, deine Yoga-Routine absolvieren, einen grünen Smoothie trinken und dann fokussiert an deinem Empire basteln – während im Hintergrund sanfte Klaviermusik läuft und dein Leben aussieht wie ein Pinterest-Board für „Work-Life-Balance“.
Deine Realität riecht anders – nach dem dritten Kaffee des Tages, nach dem Duschgel, das die Kinder im Badezimmer verschüttet haben, nach der Anspannung, die sich in deinen Schultern festgesetzt hat. Du hast vielleicht fünf bis zehn echte Arbeitsstunden pro Woche für dein Business. Wenn überhaupt. Dein Kopf pendelt zwischen Job-Stress und Familienorganisation hin und her, und dein Energielevel ist so unvorhersagbar wie das Wetter im April.
Wenn du in diesem Setting nur mit klassischer Zeitplanung arbeitest – mit bunten Kalendern und ordentlichen To-do-Listen – dann fühlst du dich schnell wie jemand, der mit leerem Tank an die Autobahnauffahrt rollt. Der Plan sagt: „Fahr los.“ Dein Körper und dein Geist sagen: „Geht nicht.“
Was Emotionales Planen wirklich bedeutet
Stell dir vor, du könntest nicht nur planen, wann du etwas machst, sondern auch, wie du dich dabei fühlen möchtest. Das ist emotionales Planen – und es ist weit mehr als ein weiterer Produktivitäts-Hack.
Es bedeutet, dass du morgens nicht nur in deinen Kalender schaust und siehst: „18 Uhr: Landingpage texten.“ Stattdessen steht da: „18 Uhr: Landingpage texten – klar, fokussiert, mit der Ruhe von jemandem, der genau weiß, was zu tun ist.“
Du planst den inneren Zustand mit, in dem du arbeiten möchtest. Du fragst dich: Welche Stimmung brauche ich für diese Aufgabe? Wie kann ich dahin gelangen, auch wenn ich gerade noch völlig woanders bin? Welche Aufgabe passt überhaupt zu meinem jetzigen mentalen State?
Das ist wie ein Upgrade deiner bisherigen Zielplanung. Nicht nur messbar und realistisch, sondern auch emotional passend. Denn als Sidepreneur hast du selten den Luxus, erst „in Stimmung zu kommen“ und dann loszulegen. Du musst lernen, dich gezielt in die richtige Verfassung zu bringen.
Wenn das (Nerven)system anders tickt
Besonders wenn dein Nervensystem eine andere Frequenz hat – sei es ADHS, Autismus, Trauma-Erfahrungen oder eine hohe sensorische Sensitivität – dann reicht „Kalender plus To-do-Liste“ bei weitem nicht aus.
Vielleicht erkennst du dich in diesen Momenten wieder: Jeder Rollenwechsel kostet dich doppelt so viel Energie, wie er eigentlich sollte. Vom konzentrierten Meeting zum geduldigen Elternteil, vom Elternteil zum visionären Unternehmer – und das manchmal mehrmals am Tag. Du spürst körperlich, wie anstrengend diese ständigen Kontextwechsel sind.
Oder du kennst diese Hyperfokus-Fallen: Entweder du kommst überhaupt nicht in den Flow, oder du hängst stundenlang an der falschen Aufgabe fest. Während du eigentlich deine Verkaufstexte schreiben wolltest, optimierst du drei Stunden lang Canva-Templates und diskutierst mit dir selbst, ob das Logo 2,3 oder 2,4 Millimeter nach links verschoben werden sollte. (Spoiler: Macht keinen Unterschied für deinen Umsatz.)
Zu viele Eindrücke können deine Handlungsfähigkeit komplett lahmlegen, egal wie brillant dein Plan auf dem Papier aussieht. Und dann ist da noch die berühmt-berüchtigte Zeit-Blindheit: Du schätzt falsch ein, wie lange etwas dauert, verlierst dich in Kleinkram, während das Wichtige liegen bleibt, und plötzlich poppt etwas auf, was du völlig vergessen hattest.
Emotionales Planen ist hier kein netter Zusatz, sondern ein Schutzmechanismus für dein Nervensystem. Es sorgt dafür, dass du nicht mehr gegen deinen inneren Widerstand anrennst wie gegen eine Wand, sondern mit deinem System arbeitest. Wie eine sanfte Rampe, über die du mühelos ins Handeln rollst, statt hochspringen zu müssen.
Die gefährliche Feelgood-Falle
Aber Vorsicht – und hier wird’s heikel. Emotionales Planen kann auch zur Prokrastinations-Falle werden, elegant getarnt als Selbstfürsorge.
Das hört sich dann so an: „Heute fühl ich’s nicht – ich mach’s morgen.“ Oder: „Ich bin grad nicht in der richtigen Energie – ich warte auf den perfekten Moment.“ Oder mein persönlicher Favorit: „Ich will das erst machen, wenn ich mich richtig kreativ fühle.“ (Was bei manchen Menschen etwa so oft vorkommt wie Halley’scher Komet.)
Klingt achtsam und nervensystemfreundlich, ist aber oft nur das Ego in Wellness-Verkleidung. Dahinter stecken meist die üblichen Verdächtigen: Angst vor Sichtbarkeit, Perfektionismus oder die Flucht vor unbequemen, aber notwendigen Schritten.
Die kritische Frage lautet: „Und was, wenn ich damit einfach jedes wichtige To-do so lange aufschiebe, bis mein Business tot ist?“
Die Antwort ist klar: Emotionales Planen bedeutet nicht, sich dem inneren Schweinehund zu unterwerfen. Es bedeutet, bewusst zu spüren: Was brauche ich wirklich, um das Wichtige jetzt umzusetzen? Wie will ich mich während oder nach der Aufgabe fühlen? Welche minimale Strategie kann ich anwenden, um trotz widriger Umstände ins Handeln zu kommen? Und ganz wichtig: Ist mein „nicht dran sein“ echtes Körperfeedback – oder versteckte Angst?
Die inneren Einwände enttarnen
„Ich bin nicht in Stimmung.“ – Du brauchst keinen perfekten Mood. Du brauchst einen brauchbaren Zustand und zehn Minuten Handlung. Das reicht oft schon.
„Das dauert mir zu lang.“ – Sechzig bis hundertachtzig Sekunden für einen inneren Shift. Wer dafür keine Zeit hat, hat kein Business, sondern eine sehr kreative Ausrede mit Unternehmens-Anstrich.
„Ist das nicht Esoterik?“ – Nein. Das ist Kontext-Management für dein Nervensystem. Messbar am Output pro Arbeitsblock und an deinem Stresslevel am Abend.
Drei Guardrails für den Alltag
Die Minimal-Variante: Für jede wichtige Aufgabe definierst du einen Notfallmodus. Landingpage schreiben wird zu „wenigstens drei Überschriften-Varianten tippen.“ Podcast vorbereiten wird zu „Stichpunktliste der Kernbotschaften.“ So kommst du auch an schlechten Tagen voran.
Die Zwei-Tage-Regel: Wenn eine Aufgabe zwei Tage hintereinander aus „kein Bock“ liegen bleibt, dann wird sie entweder verkleinert, delegiert oder radikal gestrichen. Kein endloses Verschieben mehr.
Pre-Commit-Slots: Feste wöchentliche Zeitfenster mit vorab definiertem emotionalen Zustand. „Mittwoch 19 Uhr: Angebotsarbeit – klar und fokussiert.“ Kein Stimmungs-Poker mehr am Morgen.
Micro-Shifts für zwischendurch
Du hast nur ein bis drei Minuten? Perfekt. Hier sind ein paar sanfte Übergangshilfen, die du sofort ausprobieren kannst:
Spüre deine Füße auf dem Boden, während du sechs tiefe Atemzüge nimmst. Lass dabei bewusst die Schultern fallen und entspanne deinen Kiefer. Such dir drei Worte für deinen gewünschten Zustand – „klar, zügig, freundlich“ – und sag sie laut oder schreib sie auf.
Oder mach zehn Air-Squats, um deinen Körper zu aktivieren, spritze dir kaltes Wasser ins Gesicht, oder greif zu deinem speziellen Business-Kaffeebecher. Kleine Rituale wirken wie Gangschalter, die dich sanft von „Feierabend-Modus“ in „Projekt-Modus“ gleiten lassen.
Wirst du es implementieren?
Emotionales Planen ist kein weiteres Produktivitäts-System, das du perfekt beherrschen musst. Es ist eher wie das Erlernen einer neuen Sprache – der Sprache deines eigenen Nervensystems. Manchmal wirst du fließend sprechen, manchmal stolperst du noch über die Wörter. Und das ist vollkommen in Ordnung.
Das Schöne daran: Du wirst merken, wie sich nicht nur deine Arbeitszeiten, sondern dein ganzer Tag anders anfühlt. Wie du bewusster von einer Rolle zur anderen wechselst, wie du dir selbst gegenüber geduldiger wirst und wie du gleichzeitig effizienter vorankommst – ohne dass du dich dabei fühlst wie ein Hamster im Laufrad, nur mit mehr Kaffee und weniger Körner.
Dein Business muss nicht unter deinem vollen Leben leiden. Es kann ein harmonischer Teil davon werden – wenn du lernst, nicht nur deine Zeit, sondern auch deine inneren Zustände bewusst zu gestalten. Das ist keine Magie, das ist Handwerk. Und wie jedes gute Handwerk wird es mit der Zeit immer natürlicher.
In diesem Sinne: Probier es aus, sei geduldig mit dir – und lass dein Business zu einem Ort werden, an dem du gerne bist, auch wenn der Tag schon lang war und der Kaffee schon kalt ist.