Das Beitragsbild zeigt meine Form der Task Paralyse: aufm Boden liegen, oder im Bett. Überhaupt: liegen. Aber in mir geht’s rund.
Höchstwahrscheinlich kennst du das auch. Du weißt genau, was zu tun ist. Die Aufgabe ist klar. Vielleicht willst du sie sogar erledigen. Aber zwischen „Ich sollte das machen“ und „Ich mache das jetzt“ klafft ein gigantischer, unsichtbarer Abgrund. Dein Körper fühlt sich an wie einbetoniert. Dein Gehirn? Reagiert nicht. Der Startknopf? Kaputt.
Willkommen bei der Task Paralysis, oder auf deutsch Aufgabenlähmung.
Diese Eigenschaft (siehe Teil 1 dieser Reihe) hat wenig mit Faulheit, Sturheit, mangelnder Motivation oder fehlendem Willen zu tun – sie ist Ursache für hohen Leidensdruck. Es ist ein Glitch in deinem exekutiven Funktionssystem, dem Teil deines Gehirns, der eigentlich für Planung, Priorisierung, Initiierung und Durchhalten zuständig ist.
Und wenn dieser Teil streikt? Dann fühlt sich selbst das Einfachste an wie ein Berg. Eine Mail beantworten. Die Wäsche falten. Den Termin buchen. Alles theoretisch völlig machbar. Praktisch? Unmöglich.
Die Verbindung zwischen „Absicht“ und „Handlung“ ist kurzgeschlossen. Dein Gehirn weiß, was das Ziel ist, aber es kommt einfach nicht vom Fleck. Als wäre der Startknopf temporär blockiert, und du sitzt da und starrst ins Leere, während die Zeit vergeht und die Selbstvorwürfe lauter werden.
Was passiert da eigentlich im Gehirn?
Lass uns kurz unter die Haube schauen, denn Task Paralysis ist kein abstraktes Konzept – es ist Neurobiologie in Aktion (oder besser gesagt: in Inaction).
Der präfrontale Cortex: Der überforderte Manager
Der präfrontale Cortex (PFC) ist sozusagen der CEO deines Gehirns. Er ist zuständig für exekutive Funktionen: Planung, Entscheidungsfindung, Impulskontrolle, Arbeitsgedächtnis. Bei ADHS arbeitet dieser Bereich oft mit gedrosselter Leistung – zu wenig Dopamin und Noradrenalin bedeuten, dass die Signalübertragung zwischen den Neuronen stockt. Dieser Prozess hängt eng mit dem limbischen System und der Amygdala zusammen – wenn sie Gefahr wittert, sperrt sie den präfrontalen Cortex prophylaktisch in den Keller, den braucht sie ja nicht, um gegen einen Bären zu kämpfen und das Überleben zu sichern. (Hier stelle ich das alles etwas unterhaltsamer dar)
Das Resultat dieses (verkürzt beschriebenen Vorgangs) ist, dass der CEO im Büro sitzt, 47 Notizen auf dem Schreibtisch hat, aber keine Ahnung, welche er zuerst bearbeiten soll. Also macht er: nichts. Freeze.
Bei Autismus ist die Situation etwas anders: Der PFC arbeitet oft sehr präzise und detailorientiert, aber er ist anfälliger für Überlastung durch sensorische oder emotionale Reize. Zu viele Informationen gleichzeitig? System overload. Das Gehirn schaltet in den Schutzmodus.
Bei AuDHS (der Kombi aus beidem) hast du beides: Die Dopamin-Unterversorgung von ADHS trifft auf die Reizüberflutungs-Anfälligkeit von Autismus. Doppelt gefickt, sozusagen.
Predictive Coding: Wenn dein Gehirn die Zukunft falsch berechnet
Dein Gehirn ist eine Vorhersage-Maschine. Es versucht ständig zu antizipieren, was als Nächstes passiert, um Energie zu sparen. Dieser Prozess heißt Predictive Coding – das Gehirn trifft Vorhersagen über Situationen und gleicht sie dann mit der Realität ab.
Bei neurotypischen Menschen läuft das smooth: „Ich starte die Aufgabe → es wird okay laufen → ich kriege Dopamin für den Abschluss.“ Bei ADHS? Die Vorhersage ist oft: „Ich starte die Aufgabe → es wird anstrengend → der Dopamin-Ertrag ist zu niedrig → lohnt sich nicht.“ Also streikt das System präventiv.
Bei Autismus kann das Problem sein: „Ich starte die Aufgabe → zu viele Unbekannte → zu viel Unsicherheit → Gefahr → lieber nicht.“ Das autistische Gehirn braucht Vorhersagbarkeit. Wenn die fehlt, wird die Aufgabe als Bedrohung eingestuft.
Bei AuDHS? Beide Mechanismen gleichzeitig. Das ADHS-Gehirn sagt „zu wenig Belohnung“, das autistische Gehirn sagt „zu viel Unsicherheit“, und zusammen ergibt das: kompletter Stillstand.
Das Belohnungssystem: Warum „einfach anfangen“ nicht funktioniert
Wie wir in Teil 2 erforscht haben: ADHS-Gehirne haben ein unterversorgtes Belohnungssystem. Zu wenig Dopamin = zu wenig Motivation für Aufgaben, die keinen sofortigen Kick geben. Task Paralysis ist oft die Folge dieser chronischen Dopamin-Armut. Dein Gehirn sieht die Aufgabe, rechnet aus: „Für diese Scheiße krieg ich einen Dopamin-Dollar? Ne danke, ich bleib liegen.“
Bei Autismus spielt Dopamin eine etwas andere Rolle: Es geht weniger um die Belohnungssuche, sondern mehr um Vorhersagbarkeit und Sicherheit. Wenn eine Aufgabe zu viele unbekannte Variablen hat, wird sie vom Gehirn als „unsicher“ markiert, und das Belohnungssystem springt nicht an – egal wie wichtig die Aufgabe ist.
Task Paralysis ist keine Einheitsnummer
Hach, wenn es doch nur einfach wäre… Denn: nicht jede Aufgabenlähmung passiert aus demselben Grund. Es gibt verschiedene Trigger, die dein Gehirn in den Freeze-Modus schicken können. Und je nachdem, was gerade der Auslöser ist, fühlt sich das Feststecken auch unterschiedlich an.

Lass uns die häufigsten Übeltäter mal unter die Lupe nehmen:
Kognitive Überlastung: Wenn zu viel gleichzeitig zu wenig wird
Stell dir vor, dein Gehirn ist ein Browser mit 47 offenen Tabs. Jeder Tab schreit „HIER! ICH! ZUERST!“ und dein Arbeitsspeicher ist instant komplett ausgelastet.
Das ist kognitive Überlastung. Zu viele Aufgaben buhlen gleichzeitig um deine Aufmerksamkeit, und dein Gehirn hat null Ahnung, wo es anfangen soll. Also macht es: gar nichts. Es friert ein. Blockiert. Game over.
Für neurotypische Menschen ist Priorisieren oft intuitiv. Für uns? Das ist, als würde man dich bitten, aus 47 gleich wichtigen Notfällen den wichtigsten zu wählen. Viel Erfolg damit.
Das Resultat: Du sitzt da, völlig paralysiert, während dein Gehirn versucht, alle Aufgaben gleichzeitig zu prozessieren und dabei komplett kollabiert. Nichts wird angefangen, weil alles gleich dringend (oder unwichtig) erscheint.
Bei Autismus verschärft sich das Problem durch die Detailorientierung: Jede Aufgabe wird in all ihren Einzelheiten erfasst, was die kognitive Last exponentiell erhöht. Bei AuDHS kommt beides zusammen: zu viele Tabs UND zu viele Details pro Tab.
Spannender Weise stellt sich das in Notsituationen manchmal anders dar: Dann sind wir oft die, die das Zepter in die Hand nehmen, direkt handeln, und zwar sehr zielgerichtet und erfolgreich. Angeblich gibt es gerade bei Feuerwehr, Sanitätern etc. viele Menschen mit ADHS. Ich kann das für mich auch bestätigen, unter Hochdruck performe ich richtig gut. Die FOlge ist jedoch ein extrem schnelles Ausbrennen. Der Dopaminkick ist dann SO HOCH, dass ich quasi von einem Feuer zum anderen renne, um wieder einen zu bekommen. Teufelskreis…
Perfektionismus: Die Endlosschleife der Optimierung
Ah ja, der gute alte Perfektionismus. Klingt erstmal nach einer Tugend, oder? „Ich will’s halt gut machen!“ Perfektionismus verkleidet sich sehr geschickt und ist oft gar nicht so einfach zu erkennen. Ich selbst dachte soooo lange: Nö, das Problem hab ich nicht. Mein Ego lacht noch immer.
Perfektionismus bei ADHS und Autismus ist oft keine bewusste Entscheidung für Qualität, sondern eine Angstreaktion. Die Angst, dass es nicht gut genug ist (wer legt eigentlich “gut genug” fest?). Die Angst vor Kritik. Die Angst, dass jemand merkt, dass du „nicht normal“ bist.
Also optimierst du. Und optimierst. Und optimierst. Du änderst ein Wort in der Mail. Dann noch eins. Dann die ganze Struktur. Dann schreibst du sie komplett neu. Und am Ende? Schickst du sie gar nicht ab, weil sie immer noch nicht „perfekt“ ist.
Das Ding ist: „Perfekt“ gibt’s nicht. Aber dein Gehirn hat sich eingespeichert, dass nur perfekt akzeptabel ist. Und solange das nicht erreicht ist, bleibt die Aufgabe in der Schwebe. Für immer.
Bei Autismus kommt die Detailversessenheit hinzu: Jedes kleine Detail muss stimmen, weil das Gehirn Abweichungen als Fehler registriert. Bei ADHS ist es eher die Angst vor Konsequenzen (RSD!) und der ständige Selbstzweifel. Bei AuDHS? Beides gleichzeitig. Viel Spaß.
Überwältigung: Wenn der Berg zu groß aussieht
Manchmal ist eine Aufgabe einfach zu… viel. Zu groß. Zu kompliziert. Zu unklar. Zu diffus.
Dein Gehirn schaut drauf und denkt: „Alter, wo fange ich überhaupt an?“ Und weil der Startpunkt so schwer zu finden ist, macht es einfach… nichts. Es friert ein. Überwältigung tritt auf, wenn eine Aufgabe so massiv wirkt, dass sie dein System komplett überlastet.
Das Gemeine daran ist, dass es oft gar nicht mal die objektiv großen Aufgaben sind, die uns lähmen. Manchmal ist es die Steuererklärung (okay, die ist groß). Manchmal ist es eine Mail. Oder ein Anruf (ich hab mal 3 Monate einen Anruf von 20 Sekunden Dauer vor mir her geschoben). Oder das Aufräumen eines einzelnen Schranks.
Warum? Weil die Aufgabe keine klare Struktur hat. Weil zu viele Schritte unklar sind. Weil du nicht weißt, wo du anfangen sollst. Oder weil du das Ergebnis nicht klar genug absehen kannst. Und dein ADHS-Gehirn? Das hasst Unklarheit. Das braucht einen Plan. Und wenn der fehlt, streikt es. ABER ist der Plan zu rigide, auch. Herrje…
Bei Autismus ist Struktur und Vorhersagbarkeit noch kritischer. Ohne klaren Plan fühlt sich die Aufgabe nicht nur überwältigend an, sondern regelrecht bedrohlich. Bei AuDHS wird die Unklarheit doppelt bestraft: Das ADHS-Gehirn findet keinen Anfang, das autistische Gehirn findet keine Sicherheit.

Angst vor Verurteilung: RSD schlägt zu
Ah, Rejection Sensitivity Dysphoria (RSD). Ein alter Bekannter. Die übersteigerte Angst vor Ablehnung, Kritik oder Missverständnis.
Wenn RSD mitspielt, wird jede Aufgabe, bei der du dich zeigen musst, zur existenziellen Bedrohung. Eine Nachricht schicken? Könnte falsch verstanden werden. Ein Projekt abgeben? Könnte kritisiert werden. Deine Meinung äußern? Könnte als „zu viel“ oder „falsch“ abgestempelt werden. Zeig mir bitte einen neurodivergenten Menschen, der das nicht kennt! (Haben auch viele neurotypische, by the way)
Also machst du: nichts. Weil versteckt bleiben sicherer ist, als gesehen und möglicherweise abgelehnt zu werden.
Das ist nicht rational. Das wissen wir. Aber RSD ist nicht rational. Es ist eine emotionale Überreaktion, die tief in der neurodivergenten Erfahrung (Kindheit, Schule, Ausbildung, Familie, you name it) verankert ist. Und sie kann dich komplett lahmlegen.
RSD ist vor allem ein ADHS-Ding, aber bei AuDHS wird es durch die autistischen Erfahrungen von sozialer Ablehnung und Missverständnissen noch verstärkt. Doppelte Dosis Angst, doppelte Lähmung.
Angst vor dem Scheitern: Lieber gar nicht erst versuchen
Eng verwandt mit RSD, aber nicht dasselbe: Angst vor dem Scheitern.
Wenn die Angst, nicht gut genug zu sein, so groß ist, dass du lieber gar nichts machst, als es zu versuchen und zu versagen. Denn wenn du es gar nicht erst versuchst, kannst du auch nicht scheitern, oder? (Doch, kannst du. Aber dein Gehirn kauft dir diese Logik trotzdem ab.)
Das zeigt sich besonders bei Dingen, die uns wichtig sind. Kreative Projekte. Bewerbungen. Gespräche, die wir führen sollten. Je mehr uns etwas bedeutet, desto höher die Angst, zu versagen, und desto größer die Lähmung.
(Exkurs: oft wird auch die Angst vor der eigenen Größe ins Feld geführt, die Angst, Erfolg zu haben. Ich habe da eine zwiegespaltene Meinung zu. Wie siehst du das? Schreib es in die Kommentare!)
Emotionale Überlastung: Wenn dein Akku leer ist
Manchmal liegt es nicht an der Aufgabe selbst. Manchmal liegt es daran, dass du einfach am Ende bist.
Stress, Angst, Frustration, Erschöpfung. Kennste? Wenn dein emotionales System überladen ist, hat dein Gehirn keine Ressourcen mehr, um auch nur die einfachsten Dinge anzugehen. Es schaltet ab. Es geht in den Energiesparmodus. Es friert ein.
Emotionale Überlastung ist wie ein leerer Handy-Akku. Du kannst noch so sehr auf den „Start“-Button drücken, wenn keine Energie mehr da ist, passiert nichts.
Bei Autismus ist emotionale Regulation oft schwieriger, weil sensorische und soziale Reize schneller überlasten. Bei ADHS kommt die emotionale Dysregulation dazu – Gefühle sind intensiver und schwerer zu steuern. Bei AuDHS? Beide Faktoren potenzieren sich.

Der Freeze-Zustand: Wenn dein Nervensystem „Nope“ sagt
Task Paralysis ist nicht nur eine Kopfsache. Es ist auch eine Körpersache.
Wenn dein Gehirn überfordert ist, aktiviert sich oft die Freeze-Reaktion deines autonomen Nervensystems. Das ist der Zustand, in dem dein Körper auf „Pause“ schaltet, weil Kampf oder Flucht keine Option sind. Du bist wie gelähmt. Bewegungsunfähig. Emotional abgeschaltet.
Dieser dorsale Vaguszustand wird oft als Faulheit oder Widerstand missverstanden oder als Prokrastination gelabelt. Aber es ist keine bewusste Entscheidung. Es ist eine physiologische Reaktion auf Überforderung. Dein Körper versucht, dich zu schützen, nur leider auf eine Art, die dich komplett handlungsunfähig macht.
Task Paralysis vs. Prokrastination: Ähnlich, aber nicht dasselbe
Oft wird Task Paralysis mit Prokrastination verwechselt oder gleichgestellt. Das ist verständlich, denn beide sehen von außen gleich aus und werden oft in einen Topf geworfen: Aufgaben werden nicht erledigt. Aber der Mechanismus dahinter ist fundamental unterschiedlich.
Prokrastination ist ein aktiver Vorgang, bei dem du bewusst oder unbewusst eine unangenehme Aufgabe vermeidest und stattdessen etwas anderes tust – meist etwas Angenehmeres. Du schiebst die Steuererklärung auf und scrollst stattdessen durch Instagram. Du ignorierst die wichtige Mail und räumst plötzlich enthusiastisch den Kühlschrank auf. Es ist eine Vermeidungsstrategie, um negative Emotionen abzulenken.
Task Paralysis ist wie dargestellt ein Freeze-Zustand, also dein Nervensystem im Alarmmodus. Du willst anfangen, aber dein Gehirn kann physisch nicht. Es gibt keine Alternative, keine Ablenkung, keinen Ersatz. Du liegst auf dem Boden oder starrst ins Leere, während dein Kopf rast, aber dein Körper nicht reagiert. Es ist keine bewusste Vermeidung – es ist neurologischer Stillstand.
Bei Prokrastination hast du noch Handlungsfähigkeit (auch wenn du sie „falsch“ einsetzt). Bei Task Paralysis hast du keine. Prokrastination fühlt sich an wie „Ich sollte, aber ich will nicht“. Task Paralysis fühlt sich an wie „Ich will, aber ich kann nicht“.
Beide können bei ADHS und Autismus auftreten, oft auch gleichzeitig oder abwechselnd. Und beide brauchen unterschiedliche Strategien. Während bei Prokrastination oft Motivationsarbeit und Belohnungssysteme helfen, brauchst du bei Task Paralysis vor allem: Reduktion der Überforderung, kleinste Schritte und massiv Selbstmitgefühl.

Was hilft? Strategien gegen die Lähmung
Okay, genug Theorie. Was kannst du tun, wenn die Task Paralysis zuschlägt?
Die 5-Minuten-Regel: Der kleinste mögliche Schritt
Die 5-Minuten-Regel ist mein absoluter MVP gegen Aufgabenlähmung. Die Idee: Du verpflichtest dich nur für fünf Minuten. Nicht für die ganze Aufgabe. Nur für fünf lächerliche Minuten. (Oder auch nur 90 Sekunden)
Warum das funktioniert: Meistens ist der Anfang das Schwerste. Sobald du erstmal drin bist, baut sich Momentum auf und Dopamin betritt das Spielfeld. Und selbst wenn nicht und du nach 5 Minuten aufhörst: hey, fünf Minuten sind besser als null Minuten.
Der Trick ist, den ersten Schritt so klein zu machen, dass er sich nicht mehr überwältigend anfühlt. Nicht „die ganze Wohnung aufräumen“, sondern „fünf Minuten lang Dinge in die richtige Schublade legen“. Nicht „die Abschlussarbeit schreiben“, sondern „fünf Minuten lang Stichpunkte sammeln“.
Body Doubling: Gemeinsam ist weniger einsam
Body Doubling bedeutet, neben jemandem zu arbeiten. Das kann persönlich, quasi “offline” oder virtuell stattfinden. Das kann ein Freund sein, ein Coworking-Space, oder ein stiller Zoom-Call mit anderen ADHSlern. Dafür gibt es mittlerweile viele Plattformen, so wie diese hier oder diese oder diese.
Warum funktioniert das? Weil die Anwesenheit einer anderen Person eine Art externe Rechenschaftspflicht schafft. Dein Gehirn kriegt das Signal: „Okay, wir machen jetzt was.“ Es ist wie ein sanfter Schubs in Richtung Aktion.
Aufgaben zerlegen: Aus Bergen Hügel machen
Große Aufgaben sind für ADHS-Gehirne der Horror. Aber kleine Aufgaben? Die gehen.
Also: Zerleg die Scheiße. Mach aus „Steuererklärung machen“ eine Liste von Einzelschritten: Belege suchen. Belege sortieren. Formular öffnen. Erste Zeile ausfüllen. Und so weiter.
Plötzlich ist die Aufgabe nicht mehr ein unüberwindbarer Berg, sondern eine Reihe von kleinen Hügeln. Und Hügel schaffst du. (Das ist übrigens eine meiner Zones of Genius! Für andere natürlich :D)
Rituale und Anker: Dem Gehirn ein Signal geben
Manchmal braucht dein Gehirn einen Trigger, um in den „Arbeitsmodus“ zu schalten. Das kann eine bestimmte Playlist sein, ein fester Arbeitsplatz, eine Tasse Kaffee, ein kurzes Stretching.
Rituale geben deinem Gehirn ein klares Signal: „Okay, jetzt wird gearbeitet.“ Mit der Zeit verknüpft sich das Ritual mit der Aktion, und der Start wird leichter.
Ich höre schon jemanden sagen: jaja, aber ich mach das 2 Tage und dann nicht mehr. Legit. Immer wieder zurück finden zu dem, was funktioniert, und: externalisieren! Sichtbare Anker schaffen! Denn – was nicht sichtbar ist, ist für unser Gehirn halt einfach nicht da. Außer natürlich das letzte schräge Gespräch mit dem Crush. Das bleibt für immer.
Technologie nutzen: Apps, die mitdenken
Apps wie Motion, Todoist oder Forest können helfen, Aufgaben automatisch zu planen, zu priorisieren und dich sanft zu erinnern. Besonders bei Entscheidungslähmung können diese Tools Gold wert sein, weil sie dir die Priorisierung abnehmen. Ich persönlich nutze diese jedoch nicht bzw sehr selten. Hab’s probiert – sie sind aufm Handy. Aufm Handy ist noch mehr Ablenkung. Schwiiiierig…
Externe Motivation: Deadlines und Accountability
Manchmal brauchst du einfach jemanden oder etwas, das dich in den Arsch tritt. Deadlines. Accountability-Partner. Public Commitments.
Das ist keine nachhaltige Langzeitstrategie (intrinsische Motivation ist das Ziel), aber wenn die exekutive Funktion gerade im Keller ist, kann externe Motivation der Kickstart sein, den du brauchst.Eine flexible Balance daraus ist Gold wert.
ADHS-Medikamente: Wenn der CEO endlich Unterstützung kriegt
Erinnere dich an den überforderten CEO, den präfrontalen Cortex? ADHS-Medikamente wie Methylphenidat (Ritalin) oder Amphetamine sind wie ein kompetenter Assistent, der ihm endlich unter die Arme greift.
Die Medikamente verändern das Zusammenspiel bestimmter Botenstoffe im Gehirn, vor allem Dopamin und Noradrenalin. Plötzlich bekommt dein präfrontaler Cortex die neurochemische Unterstützung, die er braucht, um seinen Job zu machen: Aufgaben initiieren, Prioritäten setzen, dranbleiben.
Was bedeutet das für Task Paralysis? Viele berichten, dass sich die Lähmung spürbar reduziert. Der „Startknopf“ funktioniert wieder öfter. Die Überwältigung wird handhabbarer. Die 47 offenen Tabs im Kopf werden plötzlich sortierbar. Es fühlt sich oft an, als würde der Nebel sich lichten. Ich selber erfahre große Erleichterung dadurch. Ich bin weder mega euphorisch oder high, sondern einfach funktionsfähiger.
Aber: Medikamente sind kein Wundermittel. Sie beseitigen nicht alle Trigger von Task Paralysis (Perfektionismus, RSD, emotionale Überlastung bleiben oft bestehen), und die Wirksamkeit kann mit der Zeit abnehmen. Sie sind ein durchaus hilfreiches Tool, aber eben nur ein Teil des Puzzles und nicht für jeden zugänglich. Kombiniert mit den Strategien von oben können sie jedoch den Unterschied zwischen „Ich kann nicht“ und „Ich kann es zumindest versuchen“ machen.
Reframing: wirkungsvolle Übungssache
Das Wichtigste zum Schluss: Task Paralysis bedeutet nicht, dass du nutzlos bist.
Es bedeutet nicht, dass du als Mensch unfähig bist. Es bedeutet nicht, dass du es nicht genug willst. Es bedeutet, dass dein Gehirn gerade physisch nicht kann, nicht, dass du nicht willst. Durch ein Reframing kommst du in eine liebevolle Annahme und Akzeptanz. Dies ist jedoch keine plötzliche Erleuchtung und einem Chor, der Halleluja ruft. Es ist ein regelmäßiges Hinterfragen der eigenen Gedanken und das Umdrehen der Medaille.
Bisherige Sichtweise: „Ich bin nutzlos. Ich kann nicht mal eine einfache Aufgabe anfangen.“
Neubewertung: Mein Gehirn ist gerade überlastet/überfordert/im Schutzmodus. Das ist keine Charakterschwäche, sondern eine neurologische Reaktion.
Ist da auch was Gutes dran? Menschen mit Task Paralysis denken oft sehr gründlich über Handlungen nach, bevor sie sie ausführen. Sie bemerken Nuancen, Risiken und Details, die andere übersehen. Das ist nicht Zögern, sondern genaues Abwägen. Und das kann verdammt wertvoll sein.
Du bist nicht allein
Task Paralysis ist einer der frustrierendsten Aspekte von ADHS und Autismus. Sie fühlt sich unfair an. Sie fühlt sich isolierend an. Aber sie ist real, sie ist neurologisch, und sie betrifft Millionen von Menschen.
Du bist nicht faul. Du bist nicht dumm. Du bist nicht gescheitert.
Dein Gehirn arbeitet nur anders. Und mit den richtigen Strategien, etwas Geduld und einer ordentlichen Portion Selbstmitgefühl kannst du lernen, mit der Lähmung umzugehen, oder sie zumindest öfter zu überwinden.
Mehr zu ADHS, Autismus und dem ganzen AuDHS-Paket gibt’s in den nächsten Teilen dieser Serie. Bis dahin: Bleib neugierig, bleib chaotisch, bleib du.
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