Schlaf und ich – das war lange eine toxische Beziehung. Früher half Alkohol beim Einschlafen, aber erholsam war der Schlaf nie. Heute, nüchtern und mit Bewusstsein für meine Neurodivergenz, weiß ich: Für Menschen mit ADHS (& Co.) ist Schlaf oft alles andere als selbstverständlich. Der Kopf will nicht stillstehen, das Nervensystem fährt Achterbahn. In diesem Artikel erfährst du, warum Schlaf für ADHS-Gehirne so herausfordernd ist, und was du tun kannst, damit es endlich besser wird.
ADHS & Schlaf auf einen Blick
Schlaf funktioniert bei allen nach denselben biologischen Prinzipien – auch bei ADHS.
Aber: Wenn du ADHS hast, musst du viel sensibler auf dein Nervensystem achten. Es braucht Geduld, Wiederholung und einen verdammt langen Atem.
Keine Abkürzung. Kein Trick. Nur: Üben, anpassen, weitermachen.
Was wirklich hilft – kompakt zusammengefasst:
Abstand von Bildschirmen – mindestens 60 Minuten vor dem Schlafen
Ruhige Abendroutine – Bewegung, duschen, lesen, runterkommen
Gedanken aufschreiben – Kopf entlasten statt kreisen
Gewichtsdecke testen – viele ADHS-Gehirne reagieren positiv auf Tiefendruck
Melatonin nur mit Bedacht – niedrige Dosis, richtiges Timing, Rücksprache mit Ärzt:in
Medikamente kritisch abstimmen – Timing & Wirkung auf den Schlaf ernst nehmen
Regelmäßige Schlafroutinen- und Rituale wirken besser als „Schlaf-Quick-tipps“ – auch wenn’s einem nicht gefällt…
Ich bin extrem sensibel dafür geworden, was ich brauche, um gut zu schlafen. Je nach Stresslevel braucht mein Körper unterschiedlich viel Ruhe, und ich habe gelernt, darauf zu hören. Zum Glück ist mein Kind aus dem Gröbsten raus. An dieser Stelle: Solidarität und Respekt an alle frischgebackenen Eltern da draußen. Ihr seid Superhelden, auch wenn ihr euch gerade nicht so fühlt und wahrscheinlich gerade mit einem Auge diesen Text lest, während das Baby an eurer Schulter sabbert oder das Kleinkind kreischt „Ich will aber noch nicht ins Bett!“.
Wenn ich mit anderen Menschen mit ADHS oder Autismus spreche, höre ich immer wieder die gleichen Geschichten: „Ich kann nicht einschlafen.“ „Ich wache völlig gerädert auf.“ „Mein Gehirn macht einfach nicht Feierabend.“ Und dann fange ich an zu fragen: „Was machst du denn so abends?“
Spoiler: Die Antworten sind meistens nicht das, was unter ‚gute Schlafhygiene‘ fällt.

Typische ADHS-Fallen am Abend: Wie du deinen Schlaf störst
Okay, lasst uns ehrlich sein. Richtig ehrlich. Die Art von ehrlich, die wehtut.
Du liegst im Bett, scrollst durch Instagram, checkst nochmal Twitter (oder X oder wie das Ding jetzt heißt), spielst „nur noch eine Runde“ deines aktuellen Games, und wunderst dich dann, warum du nicht einschlafen kannst? Oder warum dein Gehirn auf Hochtouren läuft, obwohl du eigentlich hundemüde bist?
Das ist ungefähr so, als würdest du deinem Hund einen Ball zuwerfen, dann erwarten, dass er sich sofort hinlegt und schläft. Der Hund ist verwirrt. Dein Gehirn auch.
„Blaues Licht“ ist scheiße für den Schlaf.
Das ist der bekannte Mythos. Tatsächlich geht es nicht um die Farbe des Lichts oder eine spezifische Wellenlänge. Es geht um den Anteil kurzer Wellenlängen. Und EIGENTLICH geht es darum, warum wir uns diesem unnatürlichen Licht aussetzen.
Das abendliches Daddeln und Berieseln am Handy nicht förderlich für guten Schlaf ist, ist keine individuelle Besonderheit – das ist Biologie. Das künstliche Licht hemmt die Produktion von Melatonin, dem Hormon, das deinem Körper signalisiert: „Hey, Zeit für’s Bett!“ Wenn du also direkt vor dem Schlafengehen dein Handy nutzt, schickst du deinem Gehirn die Nachricht: „Bleib wach! Es ist Tag! Gefahr könnte lauern! Oder zumindest ein neues Meme!“. Dein Dopmainhobbit ist bereit, eine Nachtschicht einzulegen, aber auch der soll mal kurz runter kommen.
Und dann liegst du da, verärgert und frustriert. „Warum kann ich nicht schlafen?„
Das ist nicht mysteriös. Das ist Eigenverantwortung, die gerade Urlaub macht.

Ich weiß, ich weiß: gerade für ADHS-Gehirne ist das ein besonders fieser Konflikt. Abends, wenn die Welt endlich ruhig wird, kommt oft die beste Konzentration. Das Hyperfokus-Fenster öffnet sich genau dann, wenn „normale Menschen“ schlafen gehen. Und dann noch das Handy weglegen? Das fühlt sich an wie Verrat am eigenen Gehirn.
Aber das Ding ist: Du verpasst nichts. Wirklich. Diese Memes? Die sind morgen auch noch da. Das Drama in irgendeiner Online-Diskussion? Wird auch ohne dich weitergehen. Der Highscore in deinem Game? Der läuft dir nicht weg. Und entspannen tut es dich auch nicht. Schau genau hin, auf dich und deinen Körper.
Was dir wegläuft, ist deine Erholung. Deine Chance, dass dein Gehirn mal die Toxine rausspült, die sich den ganzen Tag angesammelt haben. Deine Fähigkeit, am nächsten Tag auch nur ansatzweise zu funktionieren. Bitte diskutiere da nicht mehr mit dir selbst. „Aber bei mir ist das anders“. Nein! „Ich brauche das zum Runterkommen“. Das täuscht.
Mir hilft da oft der Gedanke: „Was würde passieren, wenn ich das jetzt einfach nicht tue?“ Die Antwort ist meistens: absolut nichts. Die Welt dreht sich weiter. Nur ich schlafe besser. Und das wiederum ist besser für die Welt 😉

Was wirklich hilft: Die goldene Stunde vor dem Einschlafen
Jetzt wird’s interessant. Denn wenn du das Handy um 21 Uhr (oder wann auch immer) weglegst, bleiben dir noch 60 Minuten bis zum Schlafengehen. Und die Frage, die jetzt im Raum steht: „Was zur Hölle mache ich denn jetzt?“
Willkommen in der „goldenen Stunde der Schlafhygiene“. Das ist die Zeit, in der du deinem Nervensystem die Chance gibst runterzufahren. Ohne Ablenkung. Ohne Berieselung. Ohne dass irgendein Algorithmus dir sagt, was du als Nächstes fühlen sollst.
Was kannst du in dieser Stunde tun?
- Klamotten für morgen rauslegen: Klingt banal? Ist es auch. Aber morgens nicht vor dem Kleiderschrank zu stehen und eine existenzielle Krise zu haben („Ist das zu viel Blau? Wann habe ich das letzte Mal gewaschen? Warum besitze ich überhaupt Kleidung?“), macht den Start in den Tag um 300% entspannter.
- Kuscheln: Mit Partner*in, Kind, Haustier, Kuscheltier. Körperliche Nähe reguliert das Nervensystem. Außerdem: Oxytocin. Das gute Zeug.
- Ausgiebig duschen: Nicht die 3-Minuten-Funktionsdusche von morgens, sondern die „ich-lass-mir-Zeit-und-genieße-das-warme-Wasser“-Dusche. Bonus: Danach ist man nicht nur sauber, sondern auch schön müde.
- Lesen: Ein echtes Buch. Oder ein E-Reader mit angepasstem Licht. Nicht am Handy. Nicht am Laptop. Papier. Oder zumindest papierähnlich.
- Gedanken aufschreiben: Das Notizbuch neben dem Bett, von dem ich später noch mehr erzähle. Die To-Do-Liste für morgen. Die wirren Gedanken, die nicht aufhören wollen. Raus aus dem Kopf, rauf auf’s Papier.
- Meditationen hören: Okay, hier gibt’s eine Ausnahme für’s Handy. Aber: nur Audio, kein Bild. Apps wie Insight Timer, Calm oder was auch immer für dich funktioniert, aber der Bildschirm bleibt schwarz oder das Handy liegt mit dem Display nach unten. Geführte Meditationen, Body Scans, Atemübungen: alles, was dem Nervensystem hilft und signalisiert: „Entspann dich, Brudi.“
Am Anfang fühlt sich das vielleicht komisch an. Wie eine Beziehung, die man neu lernen muss. Aber nach ein paar Tagen merkst du: Verdammt, das tut gut.
Bewegung bei ADHS: Besser schlafen durch körperliche Aktivität
Als mein Hund starb, habe ich trotzdem weitergemacht mit unserer Abendrunde. Nicht, weil ich ein Held bin oder besonders diszipliniert. Sondern weil ich (mal wieder) gemerkt hatte: Bewegung hilft. (Sorry, not sorry 😉
Nicht beim Trauern (okay, ein bisschen schon). Aber definitiv beim Schlafen.
Das neurodivergente Nervensystem ist oft in einem Zustand von Übererregung. Dieses ständige Brummen, diese innere Vibration, die nie ganz aufhört. Wie ein Motor im Leerlauf, der nicht ausgehen will. Bei ADHS nennt man das Hyperarousal: der Motor läuft ständig, auch wenn man eigentlich müde ist. Man liegt im Bett, aber das Gehirn? Das fährt Achterbahn.
Bewegung hilft, diesen Motor runterzufahren. Nicht intensives Workout um 22 Uhr (bitte nicht, das Kurbelt alles wieder zu sehr an!), aber eine ruhige Runde um den Block, ein paar Dehnübungen, sanftes Yoga – das gibt dem Körper die Möglichkeit, überschüssige Energie abzubauen.
Es ist propriozeptive Stimulation, wenn man fancy klingen will. Dein Körper bekommt Input über seine Position im Raum, über Bewegung und Druck. Und das beruhigt das Nervensystem. Es ist wie ein Reset-Knopf, nur ohne Garantie, dass er jedes Mal funktioniert.
Hier gilt wie so oft: Erwarte keine Wunder, wenn du nach 10 Jahren das erste mal 15 Minuten Yoga machst. Gib deinem System Zeit, zu erkennen, was abgeht, und es ernst zu nehmen.

Gedankenkreisen stoppen: Techniken für mehr Ruhe im Kopf
3 Uhr morgens. Du liegst wach. Dein Gehirn präsentiert dir jetzt eine Best-of-Sammlung aller peinlichen Momente deines Lebens. Dazu kommen: unbezahlte Rechnungen (die schon bezahlt sind), Sorgen über Dinge, die vielleicht in drei Jahren passieren könnten, und die perfekte Antwort auf eine Diskussion von vor sechs Monaten.
Willkommen beim Gedankenkreisen. Dein Gehirn ist jetzt ein DJ, der nur schlechte Tracks spielt, und du kannst nicht zum Manager, um das zu Beenden.
Für neurodivergente Menschen ist das nicht einfach nur „ich kann nicht abschalten“. Es ist oft ein Zusammenspiel aus kognitiver Hyperaktivität, Schwierigkeiten mit exekutiven Funktionen (das Gehirn kann nicht entscheiden, was jetzt wichtig ist) und manchmal auch Alexithymie – der Schwierigkeit, eigene Emotionen zu identifizieren und zu benennen.
Die Lösung? Aufschreiben.
„Ja, hab ich schon gehört, aber noch nie gemacht.“
Genau. Und deswegen liegst du wach. Zettel und Papier werden sich irgendwo finden, denn hier geht es nicht um nächtliche Prosa und tiefgehendes Journaling, sondern Schlafhygiene. Raus mit dem gedanklichen Wust, damit du zur Ruhe kommen kannst.
Es gibt keinen Hack. Es gibt keine magische Pille (okay, Melatonin kann helfen, aber dazu später). Es gibt nur: machen. Oder eben nicht schlafen.
Ich habe neben meinem Bett ein Notizbuch. Kein fancy Journal, keine App (Licht, remember?), einfach ein Notizbuch und einen Stift. Wenn die Gedanken anfangen zu kreisen, schreibe ich sie auf. Nicht schön. Nicht strukturiert. Einfach: raus aus dem Kopf, rauf auf’s Papier.
Manchmal ist es eine To-Do-Liste für morgen. Manchmal nur das Wort „FUCK“ drei Mal untereinander. Beides okay.
Der Punkt ist: Das Gehirn braucht die Sicherheit, dass diese Gedanken nicht verloren gehen. Sobald sie extern gespeichert sind, kann es sie loslassen. Ist wie ein mentaler Screenshot: hat man gemacht, kann man abhaken.
ADHS und Gewichtsdecken: Tiefdruck für besseren Schlaf
Hier kommt ein Game Changer für viele neurodivergente Menschen: Gewichtsdecken. Ich bin ein großer Fan davon, wenn ich mal woanders schlafe, merke ich deutlich, wie mir das Gewicht fehlt. Aber so eine 8 Kilo Decke mit in den Urlaub nehmen ist auch irgendwie merkwürdig? Na, ich probiere es wohl demnächst mal.
Stell dir eine Gewichtsdecke vor wie: du wirst umarmt, aber ohne die soziale Verpflichtung, jetzt irgendwas Nettes sagen zu müssen. Eine sanfte, gleichmäßige Druckstimulation auf den ganzen Körper, die dem Nervensystem signalisiert: „Du bist sicher. Du darfst entspannen.“
Das funktioniert über das propriozeptive System: das gleiche System, das auch bei Bewegung hilft. Der Druck gibt dem Körper klare, beruhigende Informationen über seine Grenzen im Raum. Für viele Menschen mit ADHS oder Autismus, die oft mit sensorischer Dysregulation kämpfen, ist das Gold wert.
Nicht jede*r mag Gewichtsdecken (manche finden sie einengend), aber wenn sie funktionieren, dann richtig. Es lohnt sich, das auszuprobieren. Eine zweite Bettdecke ist nicht das Gleiche. Das Gewicht sollte gleichmäßig verteilt sein, meist etwa 10% deines Körpergewichts.

Melatonin bei ADHS – sinnvoll oder nicht?
Melatonin ist so ein Thema, bei dem viele denken: „Ah, das natürliche Schlafhormon, das kann doch nicht schaden.“ Kann es auch nicht – wenn man’s richtig macht. Aber es ist auch kein Zaubermittel.
Ich habe beobachtet, dass Melatonin bei manchen Menschen mit ADHS tatsächlich hilft, vor allem wenn das Problem beim Einschlafen liegt. Es kann dem Körper das Signal geben: „Okay, jetzt ist wirklich Schlafenszeit.“ Besonders bei verzögertem Schlafrhythmus (DSPS) kann eine kleine Dosis zur richtigen Zeit den Rhythmus wieder eintakten.
Aber: Melatonin ist nicht harmlos und sollte nicht einfach so geschluckt werden. Die Dosierung ist wichtig (oft reichen schon 0,5–1 mg, viele nehmen viel zu viel), der Zeitpunkt auch (etwa 30–60 Minuten vorm Schlafengehen), und es gibt Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Wenn du es nur nehmen willst, um weiter Doomscrollen zu können, verarschst du dich selbst und es wird dir nicht helfen.
Mein Rat: Sprich mit deinem Arzt oder deiner Ärztin, bevor du Melatonin nimmst. Gerade wenn du bereits ADHS-Medikamente nimmst, sollte das abgestimmt werden. Und: Melatonin ersetzt keine Schlafhygiene. Wenn du bis Mitternacht am Handy hängst, hilft auch kein Melatonin der Welt.
Medikamente & Schlaf – ein Dilemma?
ADHS-Medikamente wie Methylphenidat oder Amphetamine sind Stimulanzien. Sie helfen tagsüber, fokussiert zu bleiben, aber sie können auch das Einschlafen erschweren.
Das ist ein echtes Dilemma: Du brauchst die Medikamente, um zu „funktionieren“, aber sie halten dich wach. Manche Menschen nehmen ihre letzte Dosis zu spät am Tag, andere haben einfach eine längere Wirkdauer, die bis in den Abend reicht.
Was hilft? Mit deinem Arzt oder deiner Ärztin über Timing und Dosierung sprechen. Manchmal reicht es schon, die letzte Dosis früher zu nehmen. Manchmal braucht es eine Anpassung der Medikation. Und manchmal hilft zusätzlich Melatonin am Abend, aber auch das sollte ärztlich abgestimmt werden.
Wichtig: Setz niemals eigenmächtig deine Medikamente ab oder ändere die Dosierung. Das führt zu nichts Gutem. Aber sprich offen über Schlafprobleme – das ist ein bekanntes Thema bei ADHS-Medikamenten, und es gibt Lösungen.
(Ähnliches gilt übrigens für Koffein! Wenn du 18 Uhr ’nen Kaffee trinkst oder ein Monster ballerst, bist du wirklich überrascht, wenn du 21 Uhr nicht sofort einpennst? Ok, es gibt Menschen, bei denen wirkt es paradox. Aber wohl nicht bei dir, sonst hättest du nicht bis hierher gelesen? ;-))
Schlafhygiene ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit
Hier kommt jetzt der Teil, wo ich vom Persönlichen ins Allgemeine wechsle. Denn so individuell manche Schlafprobleme sind – die Basics gelten für alle.
Schlaf ist essenziell. Nicht „wäre schön“ oder „wenn ich Zeit habe“. Essenziell. Wir verbringen etwa ein Drittel unseres Lebens schlafend, und das hat verdammt gute Gründe.
Obacht für Menschen, die in Schichtsystemen arbeiten: Rollende Wochen, wechselnde Arbeitszeiten – das fickt den Biorhythmus so richtig. Wenn dein Körper nicht weiß, ob jetzt Tag oder Nacht ist, kannst du noch so viel Schlafhygiene betreiben, der Grundkonflikt bleibt. Das ist Schlafgesundheit im Hard Mode. Da braucht es noch mehr Gewahrsein, Achtsamkeit, und bisweilen Arrangement.
Während du schläfst, passiert im Körper ein ganzes Maintenance-Programm:
- Dein Gehirn räumt auf: Im tiefen Non-REM-Schlaf spült das Gehirn Toxine raus, die sich während des Tages angesammelt haben. Stell dir vor, du würdest deinen Müll wochenlang nicht rausbringen – so fühlt sich ein Gehirn ohne ausreichend Tiefschlaf an.
- Dein Gedächtnis wird konsolidiert: Informationen werden sortiert, Wichtiges gespeichert, Unwichtiges gelöscht. Ohne Schlaf ist dein Gehirn wie ein Computer mit zu vielen offenen Tabs und zu wenig Arbeitsspeicher.
- Dein Körper regeneriert: Muskeln reparieren sich, das Immunsystem macht seine Arbeit, Hormone werden reguliert.
- Deine emotionale Regulation stabilisiert sich: Schlafmangel macht dich nicht nur müde, sondern auch emotional instabil. Alles ist zu viel, zu laut, zu intensiv.
Der Schlaf besteht aus zwei Hauptphasen, die sich abwechseln: Non-REM-Schlaf (in drei Stufen) und REM-Schlaf. Besonders wichtig ist der tiefe Non-REM-Schlaf – hier regeneriert der Körper wirklich. Das macht etwa ein Viertel deines Gesamtschlafs aus, aber ohne diese Phase wachst du auf und fühlst dich wie nach einer durchzechten Nacht, selbst wenn du acht Stunden gelegen hast. Ergänzend dazu ist der REM-Schlaf wichtig für die geistige Erholung und das emotionale Wohlbefinden, da hier das Gehirn aktiv Informationen verarbeitet und Emotionen reguliert. Beide Phasen sind also für erholsamen Schlaf notwendig. Falls du eine Tracker-Uhr hast, schau dir dazumal die Aufzeichnungen an und beobachte, wie du dich fühlst, je nachdem, wie lang die Phasen waren.
Kurzfristiger Schlafmangel (mal eine Nacht 5 statt 8 Stunden) ist unangenehm, aber verkraftbar. Aber wenn das zur Gewohnheit wird, gehst du auf’m Zahnfleisch. Kognitive Fähigkeiten leiden, die Stimmung wird mies, und irgendwann kommst du in eine Abwärtsspirale, aus der du alleine nicht mehr rauskommst.
Die Besonderheiten bei ADHS und Autismus
Okay, jetzt wird’s wieder spezifisch. Denn Schlafprobleme bei Neurodivergenz sind keine Einbildung und nicht einfach „schlechte Gewohnheiten“.
Warum ist Schlaf für ADHS-Gehirne so schwierig?
- Delayed Sleep Phase Syndrome (DSPS): Viele Menschen mit ADHS haben einen verzögerten zirkadianen Rhythmus. Die innere Uhr läuft einfach anders. Du bist abends topfit und sollst dann schlafen, wenn dein Gehirn sagt: „Jetzt geht’s erst los!“ Es ist wie Jetlag, nur dass du nirgendwo hingeflogen bist.
- Hyperarousal: Das Nervensystem ist auf Dauererregung. Rasende Gedanken, innerer Monolog, der nicht aufhört, Angst: alles gleichzeitig, natürlich kurz vorm Einschlafen.
- Medikamente: Stimulanzien wie Methylphenidat können das Einschlafen stören, auch wenn sie tagsüber helfen.
Warum ist Schlaf für autistische Menschen so schwierig?
- Sensorische Hypersensitivität: Jede Kleinigkeit kann stören. Die Textur der Bettwäsche. Das leise Brummen des Kühlschranks. Das Licht der Straßenlaterne, das durchs Rollo dringt. Was für andere kaum wahrnehmbar ist, ist für autistische Menschen wie ein Alarmsignal, das die ganze Nacht durchläutet.
- Interozeption: Schwierigkeiten, innere Körpersignale wahrzunehmen. „Bin ich müde? Oder nur gelangweilt? Oder überreizt?“ Wenn man nicht merkt, dass man müde ist, geht man auch nicht ins Bett.
- Burnout: Langes Maskieren, sensorische Überlastung, emotionaler Stress – all das führt zu einem Burnout, dessen Erschöpfung durch normalen Schlaf nicht mehr behoben wird. Das ist wie ein leerer Akku, den man zwar an die Steckdose hängt, aber nichts passiert.

Es ist ein Zusammenspiel vieler Faktoren
Schlafhygiene ist kein einzelner Hack. Es ist kein „mach das, dann klappt’s“. Es ist ein komplexes Zusammenspiel aus:
- Umgebung: Dunkel, ruhig, kühl, angenehme Texturen
- Routine: Konsistente Zeiten, vorhersehbare Abläufe
- Rituale: Anker für dein System, dass es Zeit wird, zur Ruhe zu kommen
- Technologie: Weg damit, oder zumindest gedimmt
- Bewegung: Tagsüber ja, abends sanft
- Gedankenhygiene: Raus aus dem Kopf, aufs Papier
- Körperliche Regulation: Atemtechniken, Entspannung, Gewichtsdecken
- Professionelle Hilfe: Bei hartnäckigen Problemen (DSPS, Schlafapnoe, etc.)
Es braucht Geduld. Es braucht Experimentieren. Was bei anderen funktioniert, klappt bei dir vielleicht nicht. Aber die Basics? Die gelten. Auch für dich. Auch für dein spezielles, wunderbares, anstrengendes neurodivergentes Gehirn.
Fang mit einer Sache an. Nicht alles auf einmal. Handy weg eine Stunde vorm Schlafengehen. Das war’s. Mehr nicht. Und wenn das klappt, kommt der nächste Schritt.
Die Haltung zum Schlaf: Ein Geschenk, kein Feind
Hier ist etwas, das ich erst mit der Zeit verstanden habe: Schlaf ist kein notwendiges Übel. Schlaf ist ein Geschenk.
Lange Zeit habe ich Schlaf als Zeitverschwendung gesehen. Als etwas, das mich davon abhält, produktiv zu sein, Dinge zu schaffen, zu leben. Aber das ist, als würde man sagen: „Atmen ist Zeitverschwendung, ich könnte in der Zeit so viel mehr machen.“
Schlaf ist Erholung. Schlaf ist der Moment, in dem deine Seele zur Ruhe kommen darf. Wo all der Lärm, all die Anforderungen, all das „Du-musst-noch“ endlich verstummt. Es ist der Reset-Button für Körper und Geist.
Wenn du in dieser Haltung ins Bett gehst – nicht mit „Ich muss jetzt schlafen, sonst bin ich morgen kaputt“, sondern mit „Ich darf jetzt schlafen, es gibt nichts mehr zu tun“ – kann die Veränderung, nach der du dich sehnst, kommen.

Zum Schluss – Schlaf gut!
Schlaf ist mir mittlerweile heilig. Ich verteidige meine Schlafenszeit wie ein Drache seinen Schatz. Und ja, das bedeutet manchmal: Nein sagen. Events absagen. Früher gehen, als „cool“ ist, oder gar nicht erst erscheinen.
Aber weißt du was? Ich bin am nächsten Tag ein funktionierender Mensch. Ich kann denken. Ich kann fühlen, ohne dass alles zu viel ist. Ich kann existieren, ohne dass es sich wie eine Strafe anfühlt.
Das ist es wert. Jede Minute, die ich früher ins Bett gehe. Jede Frustration, wenn ich das Handy weglege. Jede Abendrunde, auch wenn ich keine Lust habe.
Ich bin eigentlich jemand, der abends am besten arbeitet. Mein natürlicher Rhythmus? Der würde sagen: „Ab 20 Uhr geht’s erst richtig los!“ Aber ich habe ein schulpflichtiges Kind. Ich kann nicht mehr die Nächte durcharbeiten wie damals als Studentin. Mein reales Leben kollidiert mit meinem idealen Rhythmus, und das ist okay. Wäre ich in dieser Hinsicht freier, sähe mein Schlafplan anders aus. Aber die grundsätzlichen Dinge – Handy weg, Bewegung, Gedanken aufschreiben, sensorische Umgebung anpassen – die gelten trotzdem. Auch wenn ich nicht nach meinem optimalen biologischen Takt leben kann.
Schlaf ist nicht Luxus. Schlaf ist Grundversorgung. Schlaf ist das Fundament, auf dem alles andere steht.
Also: Leg das Handy weg. Geh eine Runde. Schreib deine Gedanken auf. Leg dir die Gewichtsdecke drauf. Und dann: Schlaf gut.



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